1.10.2014 Waldkappel - Eschwege


Ein Teil der Verwandtschaft lebt in Lengenfeld unterm Stein im Eichsfeld. Kleiner Grenzverkehr mit Picknick auf der Wiese damals. Immer die Kontrollen an der Grenze in Duderstadt. Herr Liese und seine Familie lebten derzeit in Nürnberg aus beruflichen Gründen in der Zweitwohnung. Das Haus stand in Eschwege. In Nürnberg erlebten sie auch die berühmte Schabowski Rede im Fernsehen am Abend des 9. November 89. Unglaublich. Am nächsten Tag fuhren sie nach Eschwege und erkannten ihren Ort kaum wieder. Menschen, Trabis, Wartburgs, Schwalben... Ein Mann im blauen Schlosseranzug. Er hatte alles stehen und liegengelassen im Osten. Eine schwangere Frau mit ihrem Mann und zwei Freunden. Sie wollten im Auto schlafen, um am nächsten Tag das Begrüßungsgeld abholen zu können. Die Lieses gaben ihnen Unterkunft. Freundschaft ist geblieben. 

Eine Durchsage im Radio am 12.11.89, dass in Wanfried die provisorische Grenze eröffnet wird. Mit der Planierraupe wurde der alte Weg frei gemacht. Der Onkel kam von drüben entgegen. Sie fotografierten sich gegenseitig im Entgegenkommen. Auf der Straße waren Schulbänke aufgebaut, damit die Vopos die Personalausweise stempeln konnten. Nach und nach wurden die Grenzübergänge geöffnet. Feierliche Veranstaltungen mit Blaskapelle, Rostwürsten und Bier. Nach der Wiedervereinigung der Rostwurststreit. 

Nah an der Grenze aufgewachsen, war Herr Liese neugierig auf die Ostdeutschen. Mit 20 in Prag im 
U PINKASU auch Leute getroffen. Biermann und Krug sind rüber gegangen. Brieffreundschaften in Glauchau. Diskussionen über die Ost- Westsituation eher verdeckt. Die Verwandten hatten nicht geglaubt, dass sie hinter einem Zaun leben, bis sie es selbst gesehen haben, vom Westen aus. Sie hatten Angst, dass sie von den Soldaten auf den Wachtürmen entdeckt werden und nicht mehr zurück in die Heimat können. Ab und zu stieg der Russe mit dem Hubschrauber über den Meinhard See bei Eschwege auf und schaute sich die Badenden an.


Barbara wurde 1949 in Dresden geboren. Die Eltern gingen mit ihr über Berlin nach Baden-Württemberg ins Flüchtlingslager. Sie war knapp 3 Jahre alt. Zweimal wurde sie von den Omas wieder zurückgeholt. Die Räume in dem Flüchtlingslager der Maschinenhalle im Porschewerk waren durchlässig, nach oben offen. Zellen aus Pappe. Dann endlich eine Wohnung in Stuttgart Bad Cannstatt. Schuleintritt. Umzüge. Berlin, Neuffen, Hannover ... 

Allein unterwegs. Die gelebte Vertrautheit in der Großfamilie im Osten wurde vermisst. Die kleinen Alltagshandlungen in der tradierten Lebenswelt. Gerüche, Gegenstände... der Waschkrug mit der Knopfsammlung, die vertrauten Handlungen. Geborgenheit. Es im Westen zu etwas gebracht zu haben, machte den Eltern Druck. Mehr Schein als Sein. In der Brotfabrik mit 14 kleines Taschengeld verdient. Die 60 M der Mutter gegeben, damit sie im modischen Kostüm als "Frau von Welt" mit ihr in den Osten fahren konnte, um die Familie zu besuchen. Scheinwelt vorgespielt. 

Der Onkel war Vopo in Berlin. Durfte keinen Kontakt haben. Kontakt nur über Briefe ohne gelebte Beziehungen. Umzug nach Westberlin. Der Vater hat Rechenmaschinen vertrieben. Zitterprämie. Willi Brandt war Bürgermeister. Kennedy ein Berliner. Geschichte gleichzeitig hautnah. Immer beklemmende Gefühle, wenn die S-Bahn den Schlenker durch den Osten machte. Die militärische Atmosphäre in der grauen Welt machte Angst. 64 Waldbühne. Die Rolling Stones in Berlin. "Timelive. Der wilde Westen wie er wirklich war." Das Buch wollte Barbara dem Cousin in Radebeul mitbringen als Geschenk. Als Reiselektüre der Kontrolle im Zug konform standgehalten. Vertrauen gegen Vertrauen. Später kam das Buch eben mit der Post an. 

Postkarte in Geheimsprache: Bin gut angekommen = wurde kontrolliert. Bin sehr gut angekommen = wurde nicht kontrolliert.